Direkt bei mir vor der Haustür gibt es was, was es so in der Form glaube ich kaum noch gibt in Deutschland. Einen echten Tante Emma Laden, mit allem was dazu gehört, man bekommt Kittelschürzen, Socken, Mehl, Eier, Milch, es gibt eine Theke für Back- und Fleischwaren, handelsübliche Süßigkeiten, sowie die großen Plastikboxen mit Schlümpfen, Gummischlangen und ähnlichen Leckereien für 5 Cent/Stück, dazu eine Obst- und Gemüseecke, Kühlfach, Schulhefte, Haushaltsbedarf und, man geht ja schließlich mit der Zeit, Handykarten und Briefmarken. Emma* hat Mo - Fr von 07:00 - 19:00 Uhr geöffnet, Samstag bis 16.00 Uhr und Sonn- und Feiertags von 08:00 - 12:00 Uhr, was bedeutet man bekommt Sonntags nicht nur Brötchen, sondern auch Wurst, Käse und Nutella.

Die Preise sind durchaus akzeptabel, überwiegend dem Handelsdurchschnitt angepasst, dafür könnte ich theoretisch im Morgenmantel rüberschlurfen und es würde niemanden stören. Bei Tante Emma hat man immer ein wenig Familienanschluss, eine Art Live – Real – Live – Sitcom, denn Emma wird von einer 4köpfigen Familie geführt, der je nach Arbeitsanfall 2-4 Rentner und ein Azubi untergeordnet sind. Die Familie, allen voran ein leicht sadistischer Patriarch der alten Schule, gefolgt von seinem perfekten Klon in Form seines ältesten Sohnes, dem jüngsten, der kläglich darum bemüht ist seine Scheißegal - Einstellung zu wahren und der geknechteten in stoischer Ruhe gebeugten Mutter, nutzt die etwa 80 m² Ladenfläche als Bühne für die familieninternen Streitereien oder um alltäglichen Probleme ihrer Kunden zu erörtern. Das hat nicht selten zur Folge, dass man morgens um 8 an der Kasse schon mal Gespräche über Darmverschluss und Prostatakrebs mithören muss, während der Vater einem erörtert warum sein Jüngster so ein Nichtsnutz ist (der steht dann in der Regel mit roten Ohren daneben).

Der Nachteil von Emma liegt an der Kundschaft, hoffnungslos überaltert, nicht selten mit einem ernsten Alkoholproblem gesegnet und fast immer seit mehreren Monaten ungewaschen, spricht durchdringend im Geruch. Man kann bei Emma nur einkaufen, wenn man wirklich entspannt und geduldig ist, denn hier ticken die Uhren einfach anders, an Tagen an denen man emotional verkatert ist, einfach nur sein Brötchen und seine Ruhe haben will, sollte man besser nicht zu Emma gehen, denn man läuft Gefahr Amok zu laufen. Bei Emma geht’s immer noch ein bisschen wie in der Nachkriegszeit zu, man steht immer irgendwo in langen Schlangen an, zumindest an den Ecken, bei denen man auf Personal angewiesen ist, sprich, spätestens an der Kasse. Hier kommt dann die Qualität der Stammkundschaft zum Tragen. Kaum einer der in der Schlange nicht Körperwärme sucht und dabei jeden Sinn für die natürliche Wohlfühldistanz des Menschen außer acht lässt. Mann hat immer einen riesigen Altfrauenbusen im Rücken, der einem gnadenlos auf einen nassgeschwitzten speckigen Männerrücken schiebt, zur Not unter Zurhilfenahme des Einkaufswagens.

Heute morgen war es wieder soweit, ich wollte nur 2 normale und ein Körnerbrötchen, Geld in die Hosentasche, kurz über die Straße gehüpft, eingetreten in diese andere Welt, die so wunderbar an meine Kindheit erinnert, in der für Oma einkaufen das Größte war, weil es da diesen wundervollen Satz gab: „…. und für 50 Pfenning/1 Mark, darfst Du Dir dann noch was aussuchen!“  sich an der Brötchentheke anstellen und erstmal 10 Minuten warten. Unterdessen erbarmungslos 10-27 Mal den Einfaufskorb der winzigkleinen Mitfünfzigerin hinter mir in die blauen Flecken meines Fahrradunfalles gehauen bekommen, die einzige Alternative bestand darin einen Schritt nach vorne zu gehen und dem stinkenden Tiefbauarbeiter (das war mindestens 3 Monate alter Schweiß) auf die Pelle rücken, die Dame hinter mir damit allerdings veranlassen noch einen Schritt nachzurücken.
Meine Brötchen bekommen und an die Kasse vorrücken um dort einkeilt zwischen dem dicken Altfrauenbusen und zwei sich prügelnden Schuljungen endgültig meinen Appetit zu verlieren als ich die triefnassen, warzenüberwuchernden Achselhaare der Frau neben mir bewundern muss.

Wie kann ich diesen Tag noch retten, ich wollte doch nur frische Brötchen!?

*Namen von der Redaktion geändert
-buck meinte am 26. Mai, 20:09:
"Nicht...
...hüpfen, Mrs. President, *nicht* hüpfen!" <hihi>

Schön geschrieben! Man fühlt sich fast, als wäre man dabei gewesen. Ich hatte sogar diesen säuerlichen Geruch alten Schweisses in der Nase... <schauder>

Jetzt allerdings denke ich an frische Brötchen und die großen Plastikdosen mit den kleinen Leckereien... und nehme davon bestimmt schon wieder zu. :-) 
Eriador antwortete am 26. Mai, 20:37:
Schlümpfe, ich hätte gerne eine ganze Dose Schlümpfe für mich ganz alleine, scheiß aufs Dick werden, die Zufriedenheit vor der mit Sicherheit einsetzenden Übelkeit, das sind die Sekunden die zählen. 
-buck antwortete am 26. Mai, 22:42:
Diese blauen Dinger???
Die sehen doch so künstlich aus... ich bin da mehr für das Gutbürgerliche. Saure Schnuller. Schuhe. Und ab und zu dazwischen eine Schaum-Erdbeere. 
Eriador antwortete am 26. Mai, 23:08:
ausgerechnet erdbeeren und dann über die künstlichkeit von schlümpfen schümpfen :) nä! Schlümpfe sind suuuuper! schmecken 1a kleben super in den zähnen und kann man lange kauen, kann ich nur empfehlen, an diesem saure schnuller kram beißt man sich ja die zähne aus! 
-buck antwortete am 26. Mai, 23:33:
Sauer macht lustig...
...und man kaut die ja auch nicht, Schnuller nuckelt man. Schlümpfe kann ich ehrlich nicht beurteilen - die Farbe hat mich bisher immer abgeschreckt. Und jetzt darf ich grad' nicht. 
Eriador antwortete am 27. Mai, 08:33:
? ja wie, bekommen sie schon die dritten Herr Buck? ;) und was das Nuckeln angeht, aus dem Alter bin ich tatsächlich ziemlich raus :) 
-buck antwortete am 27. Mai, 11:46:
Hey!
Sagte ich nicht schon, dass ich ein Genussmensch bin? Ich nuckel' zum Geniessen, nicht weil mir die Zähne nichts anderes erlauben würden. Also ehrlich...

Was das Nuckeln allgemein angeht - ich bin als Baby nicht gestillt worden, daher darf ich meine Defizite aus dieser Phase mein Leben lang aufarbeiten. ;-) 
tilak meinte am 28. Mai, 09:22:
super gut beschrieben
Hast mich in meine Kindheit zurückgeführt, da gab es auch genau so einen Laden, wie du in beschreibst. Familienbetrieb, am Rand einer kleinen Stadt in Oberösterreich, nur die Warterei und die anderen Leute haben mich als Kind nicht gestört :) 
 

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